Lektion 03 – Das Entgeltspiel

Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu sein.
Johann Wolfgang von Goethe

Das Entgeltspiel

MP3-Audio-File (ca. 7 Minuten)

 

Im Jahre 1998 hat sich der Gesetzgeber für die Einführung eines Leistungsvertragssystem in der Kinder- und Jugendhilfe entschieden. Er hat im Paragrafen 77 SGB VIII (Vereinbarungen über die Höhe der Kosten) festgelegt, dass immer dann, wenn Einrichtungen und Dienste der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen werden sollen, über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe Vereinbarungen zu treffen sind.

Mit anderen Worten erwartet der Gesetzgeber, dass alle Einrichtungen der Erziehungshilfe gegenüber dem Jugendamt eine Verhandlung über die Höhe der Kosten führen. Es handelt sich um einen staatlich verordneten Aushandlungsprozess, in dem zahlreiche Zielkonflikte vorprogrammiert sind. Letztendlich geht es um nichts anderes als um Preisverhandlungen gegenüber dem Jugendamt.


Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163)
§ 77 Vereinbarungen über die Höhe der Kosten
Werden Einrichtungen und Dienste der Träger der freien Jugendhilfe in Anspruch genommen, so sind Vereinbarungen über die Höhe der Kosten der Inanspruchnahme zwischen der öffentlichen und der freien Jugendhilfe anzustreben. Das Nähere regelt das Landesrecht. Die §§ 78a bis 78g bleiben unberührt.


Ich möchte Ihnen schon jetzt, gleich zu Beginn, einen Rat geben. Nur für den Fall, dass Sie selbst bald gegenüber dem Jugendamt eine Verhandlung führen werden. Sie sollten sich in jedem Fall klarmachen, dass nichts, aber auch rein gar nichts, was Ihnen im Rahmen einer Entgeltverhandlung seitens des Jugendamtes entgegenschlagen wird, irgendetwas mit Ihnen persönlich zu tun hat. Das gelingt leider nicht jedem.

Ich begleite als Unternehmensberater seit mehr als 25 Jahren Entgeltverhandlungen freier Träger in der Kinder- und Jugendhilfe in der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Mehrere tausend Entgeltverhandlungen im Mandantenauftrag liegen hinter mir. Dabei musste ich immer wieder miterleben, dass die oben dargestellten Nebenwirkungen keineswegs realitätsfremd sind. Auch einen echten Herzinfarkt bei einem Antragsteller musste ich leider miterleben. So weit sollten Sie es nicht kommen lassen. Hierbei soll Ihnen dieser Online-Kurs helfen, in dem wir eine etwas außergewöhnliche Denkweise nutzen werden, die ich zu Beginn der 2010er-Jahre entwickelt habe.

Ich spreche mich ohne Wenn und Aber für einen leichten, kreativen und fantasievollen Umgang mit dem Thema Entgeltverhandlungen in der Kinder- und Jugendhilfe aus. Ich empfehle Ihnen, den Vereinbarungsprozess gegenüber dem Jugendamt konsequent spielerisch zu denken und auch anzugehen.

Bitte erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang einen kleinen Verweis auf den Gamification-Ansatz, der aus der Videospielszene bzw. aus der Gamer-Szene stammt. Gamification oder auch Spielifizierung meint die Anwendung spieltypischer Elemente in einem spielfremden Kontext. Mit diesem Ansatz sollen Akteure motiviert und zu einem besseren Interaktionsverhalten sowie zu einem zielorientiertem und psychisch weniger belastenden Verhalten bewegt werden. Gerade in Projekten, die eher als anstrengend, langweilig und uninteressant wahrgenommen werden, kann durch Gamification eine positive Beeinflussung entstehen. Ich mache Ihnen das mal an einem sehr kleinen Beispiel deutlich: Ein klassisches Element von Gamification ist der Fortschrittsbalken im Spielverlauf. Der Nutzer erhält über den Fortschrittsbalken Informationen zum Status seiner Arbeit. Er kann zu jedem Zeitpunkt erkennen, wie weit er in seinem Prozess vorangeschritten ist. Er weiss somit ganz genau, wie viel er von seiner Aufgabe noch bearbeiten muss und in welcher Phase des Prozesses er sich gerade befindet. Durch eine solche Statusdarstellung sollen die Nutzer motiviert werden, ihre Arbeit auch zu Ende zu führen. Der Spieltrieb des Nutzers wird zur Stärkung der Motivation aktiviert. Alles klar?

Wir spielen also jetzt gleich das Entgeltspiel. In einem Spiel agieren immer spielende Personen. Es geht um die Spielerinnen und Spieler. Der Einfachheit halber werde ich nun fortan, …was die spielende Person in unserem Entgeltspiel angeht, in der männlichen Form schreiben. Ich meine dann aber immer alle Geschlechter, auch wenn ich nicht ausdrücklich die weibliche Form verwende.

Ein Spiel ist übrigens nichts anderes als soziale Interaktion, womit ein wechselseitig aufeinander bezogenes Handeln beziehungsweise Beeinflussen von Akteuren im Spielverlauf gemeint ist. In einem Spiel reagieren die Spieler aufeinander, sie gehen miteinander um. Sie beeinflussen sich gegenseitig und sie versuchen den Gegenspieler im Sinne ihrer Eigeninteressen zu steuern, woraus entsprechende Wechselwirkungen entstehen.

Wenn Sie gleich das Entgeltspiel spielen möchten, dann müssen Sie noch einen ganz besonderen Sachverhalt gleich von Beginn an berücksichtigen. Es geht um versteckte Risiken im Entgeltspiel. In einer systembedingten Kontrahentenkonstruktion, wie sie zweifelsfrei in der Kinder- und Jugendhilfe vorliegt, gibt es offene und versteckte Risiken. In unserem Entgeltspiel geht es nicht nur um Zielkonflikte zwischen Leistungserbringern und Jugendämtern. Oftmals treten im Rahmen von Entgeltverhandlungen auch harte und grundsätzliche Machtkonflikte zutage, die mit Risiken für den Leistungserbringer verbunden sind. Reine Zielkonflikte können im Rahmen des Entgeltspiels in der Regel gut bearbeitet und zu einem Kompromiss geführt werden. Anders sieht es bei den Machtkonflikten aus, die im Rahmen von Entgeltverhandlungen häufig in Erscheinung treten und in der Regel schwer zu erkennen sind. Bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen Machtkonflikte zunächst oft wie sachliche Auseinandersetzungen. Häufig ist Angst die Ursache für einen Machtkonflikt. Zum Beispiel die Angst vor Autoritätsverlust oder die Angst vor einem Gesichtsverlust im Falle des „Unterliegens“ einer Partei am Ende des Aushandlungsprozesses. Werden Machtkonflikte im Entgeltspiel erkennbar, sind besondere Maßnahmen zu treffen, auf die wir noch an anderer Stelle in diesem Online-Kurs eingehen werden.


Bevor es jetzt mit dem Entgeltspiel losgeht, erlauben Sie mir bitte noch einen wichtigen Hinweis.

Diesen Kurs habe ich nicht für die vielen Entgeltspieler auf der Seite des Jugendamtes erstellt. Nur für den Fall, dass dieser Kurs dann doch irgendwie bei Ihnen im Jugendamt landen sollte, nehmen Sie bitte die eine oder andere Anmerkung nicht persönlich. Nichts in diesem Kurs ist frei erfunden. Insofern ist auch noch ganz viel Luft nach Oben vorhanden.

Möge dieser Kurs in solchen Fällen auch für Sie hilfreich und klärend sein.

 

 


Workload – Anrechenbare Bearbeitungszeit für Lektion 3:
1 Unterrichtseinheit bzw. 45 Minuten
Direkte Bearbeitung: 0,5 Unterrichtseinheiten bzw. ca. 23 Minuten
Nachbearbeitung: 0,5 Unterrichtseinheit bzw. ca. 22 Minuten


 

2 Kommentare
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Hallo,
was ist denn mit der Nachbearbeitung gemeint. Also so eine Art Hausaufgabe habe ich jetzt bisher nicht gesehen oder eventuelle Fragen die es zu beantworten gilt, wenn auch nur für sich.

Dr. Frank Plaßmeyer (Administrator) 11. November 2020 um 20:09

Hallo, mit Nachbearbeitung ist gemeint, dass die jeweilige Lektion im Nachgang zum Durchlesen durch Sie nachbearbeitet werden könnte, in dem Sie sich z.B. nochmal mit den Gesetzestexten beschäftigen oder Dinge, die Ihnen aufgefallen sind, selbst recherchieren oder zum Beispiel in Ihrer Einrichtung überprüfen. In Kürze werden wir die Lektionen auch noch erweitern. So sollen auch noch Tests hinzukommen.
Liebe Grüße
Frank Plaßmeyer

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